Eine Gruppe steht um eine Bildungszeitleiterin herum vor einer Reiterstatue.

Mal über den Teller­rand schauen

Bremer Beschäftigte haben einen Anspruch auf Bildungszeit

Bremer Beschäftigte haben einen Anspruch auf Bildungszeit. Noch immer lassen viele diesen verfallen, dabei sind die Hürden klein und das Angebot groß.

Fragen: Insa Lohmann
Foto: Jonas Ginter
1. November 2023

Bezahlter Urlaub, um sich weiterzubilden und damit dem Geist oder auch dem Körper etwas Gutes tun – klingt ­utopisch? Genau darauf haben alle Arbeitnehmenden, die im Bundesland Bremen beschäftigt sind, einen gesetz­lichen Anspruch. Insgesamt zehn Tage im Zeitraum von zwei ­Jahren stehen Beschäftigten zu, um an einer Bildungszeit teilzu­nehmen. Das Gehalt wird weitergezahlt.

Doch nur wenige nutzen bislang diese Chance – viele wissen gar nichts von ihrem Rechtsanspruch. „Viele sind überrascht, dass es ein Recht auf Bildungszeit gibt“, sagt ­Jessica Heibült, Referentin für Bildungspolitik bei der Arbeitnehmerkammer Bremen. „In Deutschland gibt es keine Bildungszeit-­Kultur, das sollte sich unbedingt ändern.“ Denn für die Weiterbildungsexpertin ist Bildungszeit eine Möglichkeit, einmal bewusst über den Tellerrand zu schauen und den eigenen Horizont zu erweitern. Heibült: „Viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Bildungszeit-Angeboten sind überrascht vom Mehrwert, der über das Inhaltliche hinausgeht.“

Thema muss keinen direkten Bezug zur Arbeit haben

Die Angebote im Bundesland Bremen reichen von Sprach­kursen und fachlichen Fortbildungen über politische Seminare und persönlichkeitsbildende Kurse bis zur gesundheitlichen Prävention wie Yoga oder Rückenfitness. Wichtig: „Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können selbst aussuchen, was sie machen möchten. Das Thema muss keinen direkten Bezug zu ihrer Arbeit haben“, sagt Jessica ­Heibült. Beschäftigte können sich also überlegen, worauf sie Lust haben und was sie privat oder beruflich weiterbringt. Wer beispielsweise gern Yoga machen würde, sollte es einfach ausprobieren: Denn auch das Wahrnehmen von ­solchen Angeboten kann zu Vorteilen am Arbeitsplatz führen – entspannte und motivierte Beschäftigte sind schließlich ein Gewinn für den Betrieb.

Möglich sind ein- oder mehrtägige Kurse

In Bremen gibt es eine Vielzahl anerkannter Einrichtungen, die Weiterbildungen anbieten, etwa die Volkshochschule, das Evangelische Bildungswerk und die Wirtschafts- und Sozialakademie der Arbeitnehmerkammer (wisoak). Bei der wisoak mit dem Schwerpunkt politische und kulturelle Bildung spielen Themen wie Digitalisierung, Diversität, Interkulturalität und Nachhaltigkeit eine große Rolle in den Veranstaltungsangeboten. Die Bildungszeiten finden in Präsenz im Seminarraum statt, zunehmend werden aber auch Online-Angebote nachgefragt. Insbesondere Seminare, in denen die Geschichte und Entwicklung Bremens beleuchtet wird, werden sehr gut angenommen, wie Bildungsreferent Asmus Nitschke von der wisoak berichtet. Der überwiegende Anteil der Teilnehmerinnen und Teilnehmer komme aus den ­großen ­bremischen Industrieunternehmen sowie aus der öffentlichen Ver­waltung. „Typische Bildungszeit-Teilnehmende sind Fach- und Schichtdienstarbeitende“, berichtet der Bildungs­referent.

Zehn Tage im Zeitraum von zwei Jahren stehen Beschäftigten zu, um an einer Bildungszeit teilzunehmen. Das Gehalt wird weitergezahlt.

Für viele stehe nicht nur die Möglichkeit, für ein paar Tage aus dem Betrieb herauszukommen, im Vordergrund, sondern auch das Interesse an aktuellen politischen Themen und am gemeinsamen Erfahrungsaustausch. „Bei unseren Veranstaltungen hat sich das Fünf-Tage-Modell bewährt“, berichtet Asmus Nitschke. Möglich sind aber auch ein- oder mehrtägige Kurse. Wichtig sei, nicht nur Fach­wissen vorzutragen, sondern an die Erfahrungs- und Lebens­welten der Teilnehmenden anzuknüpfen. So gibt es Bildungszeiten zur Wertschätzung im Arbeitsleben, über die Balance zwischen Arbeits- und Lebenswelt, aber auch zur Stadtentwicklung und zum Wirtschaftsstandort Bremen. „Es gibt ein großes Bedürfnis, die aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen zu verstehen und gemeinsam zu diskutieren.“

Ob Arbeitnehmende sich am Ende für ein Angebot der politischen Bildung, einen Sprachkurs oder Gesundheits­prävention entscheiden, ist ihnen selbst überlassen. Nitschke ist wichtig: „Jede und jeder sollte sein Recht auf Bildungszeit in Anspruch nehmen und den Inhalt nach persönlichem ­Interesse auswählen.“

Zur Person

Interview mit Josephine Klose, Rechtsberaterin bei der Arbeitnehmer­kammer:

Wer hat Anspruch auf Bildungszeit?

Alle Arbeitnehmenden, egal, ob sie in Voll- oder ­Teilzeit arbeiten, in einem Minijob oder noch in Ausbildung sind. Einzige Voraussetzung: Das Arbeitsverhältnis mit dem jetzigen Arbeitgeber besteht seit mindestens sechs Monaten.

Wie beantrage ich Bildungszeit?

Arbeitnehmende sollten dem Arbeitgeber mindestens vier Wochen und am besten schriftlich mitteilen, dass sie Bildungs­zeit nehmen wollen.

Kann mein Antrag auf Bildungszeit abgelehnt werden?

Der Antrag kann nur aus zwingenden betrieblichen Gründen abgelehnt werden. Dazu gehört beispielsweise ein akuter Krankenstand oder eine extrem hohe Auftragslage. Der Arbeitgeber kann einen Antrag auf Bildungszeit aber nicht per se ablehnen.

Kann ich bei Ablehnung meinen Anspruch auf Bil­dungs­zeit einklagen?

Zwar kann man in solchen Fällen den ­Klageweg bestreiten, vorzuziehen wäre jedoch zunächst, das diplomatische Gespräch mit dem Arbeitgeber zu suchen. Unser Tipp: dem Arbeitgeber das Bildungsangebot schmackhaft machen. Auch wir in der Rechtsberatung können hier weiterhelfen.

Kann ich jeden Kurs als Bildungszeit anrechnen ­lassen?

Nein. Die Veranstaltung muss nach dem Bremischen Bildungszeitgesetz anerkannt sein. Das kann beim Ver­­­an­stalter erfragt werden.

Habe ich auch in Teilzeit Anspruch auf Bildungszeit?

Ja, auch in Teilzeit haben Arbeitnehmende einen Anspruch. Der Gesamtanspruch von zehn Tagen bemessen nach einer Fünf-Tage-Woche reduziert sich entsprechend dem Anteil der Arbeitstage in der Woche. Bei einer Arbeitswoche von zum Beispiel drei Tagen haben Arbeitnehmende einen Anspruch auf sechs Tage Bildungszeit in einem Zeitraum von zwei Jahren.

Kann mein Anspruch verfallen, wenn ich in zwei ­Jahren nicht die vollen zehn Tage Bildungszeit genommen habe?

Innerhalb von zwei Jahren kann die Bildungszeit ­individuell genommen werden. Nach zwei Jahren besteht erneut ein Anspruch auf insgesamt maximal zehn Tage Bildungszeit für zwei Jahre. Eine Übertragung der zehn Tage Bildungszeit in den neuen Zweijahreszeitraum ist hingegen nicht möglich, dieser Anteil verfällt.