Die neue Technologie rüttelt an vielen Branchen. Wird sie in Zukunft Arbeitsplätze ersetzen, uns unterstützen oder die Art, wie wir arbeiten, komplett auf den Kopf stellen?

Text: Katja Nonnenkamp-Klüting
Fotos: Jonas Ginter
1. September 2023

Foto oben: Braumeister Andreas Grond überprüfte das von einer KI entwickelte Bier-Rezept und entwickelte den anschließenden Brauprozess.

Füße hochlegen – dank ChatGPT? Immerhin hat die Künstliche Intelligenz (KI) bereits 467 Anschläge ­dieses insgesamt 9.500 Anschläge langen ­Textes geschrieben. Die Frage für die KI wurde allerdings von einem Menschen gestellt. Und die korrekte Textlänge spuckte ChatGPT erst dann aus, als die Fragestellerin die Frage mit dem Wort „Zeichen“ statt „Anschläge“ erneut stellte. Außerdem kontrollierten zwei weitere Menschen diesen Text. „So ganz allein kann man ChatGPT seine Arbeit nicht tun lassen“, sagt Daniel Kühn, Berater und KI-Experte in der Abteilung Mitbestimmung und Technologie­beratung der Arbeitnehmer­kammer. ­Darüber hinaus müsse das System ständig trainiert werden. „Das wird tatsächlich händisch gemacht“, so Kühn.

„ChatGPT ist nicht im menschlichen Sinne ­intelligent.“
Daniel Kühn, Berater Mitbestimmung und Technologieberatung

Chatbots als Gesprächspartner?

Das englische Wort „chat“ bedeutet „plaudern“ und GPT steht für Generative Pre-trained Transformer, also ein Programm, das darauf trainiert wurde, auf der Grundlage von Daten Sprache hervorzubringen. Chatbots – also textbasierte Dialogsysteme – sind nichts Neues. Viele serviceorientierte Unternehmen arbeiten seit Jahren damit. So lassen sich beispielweise bei Versicherungsunternehmen komplexe Fragen von Kundinnen und Kunden klären, 24 Stunden am Tag, sieben Tage in der Woche. Der Unterschied zu ChatGPT liegt darin, dass diese Dialogsysteme mit Textbausteinen arbeiten. ChatGPT kann jedoch dynamisch reagieren.

Arbeitsaufgabe 1 für ChatGPT: Schreibe mir einen Text mit 500 An­schlägen, was du bist und wie du funktionierst.

„Ich bin ChatGPT, ein leistungsstarkes Sprachmodell von OpenAI. Basierend auf der GPT-3.5-Architektur generiere ich menschenähnlichen Text. Ich analysiere große Mengen an Daten, um Muster zu erkennen und relevante Antworten zu liefern. Bitte beachte, dass ich keine ­eigenen Erfahrungen oder Meinungen habe. Ich bin ein Werkzeug zur Informationsbereitstellung, daher solltest du die Informationen überprüfen. Ich stehe dir gerne bei Fragen und Texterstellung zur Seite.“

Interview mit Daniel Kühn, Berater Mitbestimmung und ­Technologieberatung, KI-Experte

Macht ChatGPT uns arbeitslos?

Nein, davon ist nicht auszugehen. Die bisherigen Prognosen zeigen Ähn­liches wie bei der Automatisierungsdiskussion ab den 1970er-­Jahren. Da ging uns auch nicht die Arbeit aus. Einige Berufsbilder sind ganz aktuell von Stellenabbau bedroht. Dies trifft vor allem auf Tätigkeiten mit mittlerer bis höherer Qualifi­kation zu, eher ­selten bei Fach- oder Einfacharbeitenden. Mittel- bis langfristig werden sich die Beschäftigungseffekte vermutlich ausgleichen. Wichtig ist, dass die kurzfristigen Effekte abgefangen werden. Hier ist die Politik gefragt, für Quali­fizierungsmöglichkeiten zu sorgen. Zudem braucht es rechtliche Regularien, wie sie beispielsweise die EU derzeit mit dem sogenannten AI Act plant.

In welchen Branchen wird ChatGPT schon eingesetzt?

Die Antwort ist nicht so einfach, da viele Unternehmen noch nicht zugeben möchten, dass sie mit ChatGPT arbeiten. Sie befürchten Imageschäden oder machen sich Sorgen um Urheberrecht und Datenschutz. Es dürften aber bereits alle Branchen und Tätigkeiten betroffen sein, in denen ein gewisses Maß an Kreativität oder Kommunikationsfähigkeit gefragt ist, die automatisierbar ist. Beispiele hierfür wären etwa Grafikdesign, Programmieren, Erstellen von Gebrauchstexten (Bedienungsan­leitungen) oder Service-Hotlines. Insgesamt kann generative KI in sehr ­vielen Tätigkeiten quer durch alle Berufe und Branchen unterstützend eingesetzt ­werden – das Potenzial ist da.

Welche Bereiche sind in Zukunft denkbar für einen Einsatz?

Es ist davon auszugehen, dass generative KI künftig ein Standardwerkzeug in nahezu allen Tätigkeitsfeldern sein wird. Zuerst werden dies vor allem diejenigen merken, die in ihrer Arbeit regelmäßig mit Computern umgehen. Dass ­Microsoft den Hersteller von ChatGPT aufgekauft hat, lässt schon vermuten, wo es hingehen wird: Generative KI wird sehr bald in ­vielen Software-Anwendungen als Assistent integriert sein. Man kennt die Idee schon von der Büroklammer, die in früheren Versionen von Microsoft Word integriert war. Nur dass die Form der Unterstützung viel weitreichender sein wird, als man es sich damals vorstellen konnte.

Arbeitsaufgabe 2 für ChatGPT: Schreibe einen 500 Zeichen langen Text dadrüber, was du nicht kannst.

„Als KI-Modell habe ich keine eigenen Emotionen, Meinungen oder Bewusstsein. Meine Antworten können ungenau oder unvollständig sein, da ich auf vorhandenen Informationen basiere. Ich kann keine neuen Fakten erzeugen und keine Kontrolle über meine generierten Inhalte ausüben. Es liegt in der Verantwortung des Benutzers, meine Informationen zu überprüfen und professionellen Rat einzuholen. Trotz meiner Fähigkeiten bin ich ein Werkzeug, das von Menschen ge­­steuert werden sollte.“

Die Mega-Yacht, die es gar nicht gibt

Eine junge Frau und ein älterer Mann an einem Bürotisch mit einem Computerbilsdchirm, auf dem viele Fotos zu sehen sind.
Die Studio B Agentur setzt bei der Bild- und Texterstellung die KI ChatGPT und Midjourney ein. Im Bild: Charlotte Riecke (Postproduktion und Bildbearbeitung) und Geschäftsführer Detmar Schmoll.

Die Werbeagentur mit Film- und Fotostudio Studio B aus Bremen-Osterholz setzt bei der Bild- und Texterstellung ChatGPT ein. Als ein Kunde Fotos von Mega-Yachten – das sind besonders große, hochseetaugliche und luxuriöse Yachten – anforderte, konnte Geschäftsführer Detmar Schmoll nicht liefern. Denn Mega-Yachten sind zumeist „top secret“.

Die Lösung lag bei den KI ChatGPT und Midjourney. Die Agentur nahm sich drei Wochen Zeit, um die beiden Tools mit den richtigen Suchbegriffen von Mega-Yachten zu füttern. Die KI griff über das Internet auf Fotos zu und setzte aus diesen Milliarden von kleinsten Bildschnipseln „Fotos“ zusammen. Mega-Yachten, die es in der Reali­tät gar nicht gibt, die frei erfunden sind. Ob es sich um fiktive oder reale Schiffe handelt, ist nicht mehr erkennbar, denn die KI kann zu jedem einzelnen Bild natürlich scheinende Lichtstimmungen erzeugen.

Detmar Schmoll sucht bei ChatGPT nach realwirtschaftlichen Ein­sätzen, die sich an den Bedarfen weiterer Kundinnen und Kunden orientieren. Für ­Bilder, die eine KI erstellt, müsse er aktuell noch kein Geld für Lizenzen bezahlen, das könne sich in Zukunft aber ändern. Ebenso wie sich die Modefoto­grafie sehr bald verändern wird. Soll Kleidung im Print oder online präsentiert ­werden, könnte ChatGPT auch einen Avatar – also die grafische Darstellung einer echt erscheinenden ­Person – erstellen und daraus vielleicht sogar ein Topmodel generieren, das wie „normale“ Models über Lizenzen gebucht ­werden kann. Für Fotografen ergeben sich vollkommen neue Möglichkeiten der Bild­gestaltung und Kombination von realen und virtuellen Inhalten.

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Am Freitag, den 1.12.2023, gestaltet der Kabarettist Philipp Weber einen Abend im Capitol in Bremerhaven zum Thema „KI: Künstliche Idioten“.
Und am Donnerstag, den 21.9.23, findet ein Austausch zu Künstlicher Intelligenz für Betriebsratsmitglieder statt.

Raten auf hohem Niveau

Mit ChatGPT können sich Menschen in Text- oder Audioform unterhalten. Daniel Kühn erklärt: „ChatGPT ist nicht im menschlichen Sinne intelligent. Vielmehr wird mithilfe eines Sprach-­Algorithmus errechnet, welches Wort basierend auf dem bisher Geschriebenen als nächstes am wahrscheinlichsten folgen muss. Im Grunde also Raten auf hohem Niveau.“

„Einige Berufsbilder sind ganz aktuell von ­Stellenabbau bedroht.“
Daniel Kühn, Berater Mitbestimmung und Technologieberatung

Einsatz bei guten Strukturen: Daten, Daten, Daten

ChatGPT basiert auf „Deep Learning“. Er verwendet große Datenmengen, um zu lernen und Muster zu erkennen. Dabei ist die KI vor allem von drei Dingen abhängig: Daten, Daten und nochmals Daten.

Komplexe Inhalte wie etwa Gesetzes­texte oder medizinische Fachliteratur weisen eine klare Struktur und eine eindeutige Sprache auf. Sie ­lassen keinen Interpretationsspielraum zu und sind somit ideal für das Anlernen eines Algorithmus. Einige Kanzleien arbeiten bereits mit ChatGPT und lassen sich Gesetzestexte oder Gerichts­urteile zusammenfassen. ChatGPT kann individualisierte Vorlagen – beispielsweise für Standardkündigungen – verfassen, ersetzt jedoch keine fachliche Beratung. Die KI spart Fachleuten Zeit, die sie für persönliche Gespräche nutzen können.

Für Programmiererinnen und Program­mierer schreibt ChatGPT Programmier­codes. Dabei durchsucht er KI-­Foren und Datenbanken nach einem konkreten Code in einer konkreten (­Programmier-)Sprache. Das können Menschen ebenso leisten, jedoch greift die KI hierbei auf eine größere Anzahl an Datensätzen in wesentlich kürzerer Zeit zurück.

Was kann ChatGPT nicht?

Obwohl ChatGPT das Abitur bestanden hat, konnte er dies nur, weil er Aufgaben erhielt, deren Lösungen bereits im Internet verfügbar waren. An der Interpretation eines bisher noch nicht veröffentlichen Textes würde er scheitern. „Oder sich uneindeutig ausdrücken und im schlimmsten Fall halluzinieren, also skurrile bis falsche Antworten liefern“, ergänzt Daniel Kühn.

ChatGPT schreibt Bierbraurezept

Eine Dose eines von einer Künstlichen Intelligenz erstellten Biers steht auf einem Glasuntergrund.
Das Rezept für „Beck’s Autonomous“ wurde von einer KI entworfen, ebenso der Name des Biers. Zudem entwickelte die KI ein Logo sowie den Slogan, das Design der Dose und die flankierende Marketingkampagne.

Mit einer ungewöhnlichen Aktion beging die Bremer Brauerei Beck & Co. ihr 150. Firmenjubiläum: Ihre erfahrenen Brauerinnen und Brauer brauten ein Bier, dessen Rezept mithilfe von KI entwickelt wurde. Doch nicht nur das Rezept wurde von der KI entworfen, auch der Name des Biers wurde von einer KI generiert. „Beck’s Autonomous“ wurde im April dieses ­Jahres als limitierte Sonderauflage mit je 150 Dosen in Deutschland, Großbritannien und Italien auf den Markt gebracht.

Die Idee, ein Bier mithilfe von KI zu brauen, war in einem Gespräch mit ChatGPT entstanden. Die KI wählte eine Rezeptur aus Millionen von Möglichkeiten, aus der die erfahrenen Braumeister mit dem Brauteam ein Bier brauten. ­Premiere für eine Brauerei in Deutschland.

Zudem entwarf die KI ein Logo sowie den Slogan „Das Bier, das sich selbst kreierte“. Das Design der Dose gestaltete die Kunst-KI Midjourney – die Illustration einer Platine umrankt von Hopfenpflanzen. Die Bremer Brauerei verfolgte ihre KI-Idee konsequent und ließ ebenfalls die flankierende Marketingkampagne von der KI entwickeln. Diese umfasste Radio- und Fernsehspots sowie Textvorschläge für Influencer-Werbung. Auch der Text auf der Website des Jubiläumsbiers stammt von einer KI, wobei Menschen die Rechtschreibfehler korrigierten.

Die gesamte Kampagne wurde zwar von KI entworfen und geplant, jedoch standen am Ende echte Menschen wie das Braumeisterteam um Braumeister Andreas Grond, der das Rezept überprüfte und den anschließenden Brauprozess entwickelte, unter strenger Überwachung des Reinheits­gebotes. Für den Brau­prozess wurden die von der KI ausgewählten Rohstoffe verwendet.

KI könnte schon bald öfter eingesetzt werden, vor allem in der Gestaltung von Werbe­kampagnen und Markenidentitäten. Dennoch wird an erster Stelle die Expertise der Brauerinnen und Brauer benötigt, um die KI nutzbar zu machen. Das Experiment zeigt aber, wie KI und Menschen in Zukunft zusammenarbeiten könnten.

Beschäftigte mitnehmen! AKB_Icon_Comment2

Kommentar von Daniel Kühn, Berater Mit­bestimmung und Technologie­beratung

Künstliche Intelligenz ist im privaten und beruflichen Umfeld vieler Menschen bereits angekommen. Als digitales Werkzeug ist sie Teil unseres Alltags und wird dies auch bleiben. Wie für jede neue Technologie gilt auch hier: KI selbst ist weder gut noch schlecht, auf die menschengerechte Gestaltung kommt es an.

Richtig eingesetzt kann KI sehr ­nützlich sein – wenn es gelingt, die Vorteile zu erschließen, die im unterstützenden Einsatz liegen. Hierbei ist Verschiedenes vonnöten: erstens ein möglichst bald geschaffener regulierender und ver­lässlicher Rechtsrahmen, wie ihn die Europäische Union derzeit plant.

Es muss außerdem auf nationaler Ebene auf eine Ausweitung der Möglichkeiten betrieblicher Mitbestimmung und somit eine Stärkung von Betriebs- und Personalräten geachtet werden. Denn diese ver­treten im Arbeitsalltag vor Ort die Interessen der Beschäftigten. Das erklärte Ziel ist ein humanzentrierter technologischer Wandel, der die Beschäftigten mitnimmt, an Umsetzungen beteiligt und für die anstehenden Veränderungen der Arbeitswelt entsprechend qualifiziert.